Am 23. September 2021 fand der Fachtag für Partizipation und Beteiligung im FEZ-Berlin (https://fez-berlin.de/ueberuns/dasfez-berlin/) statt. Mit einer erstaunlich großen Zahl verschiedenster Workshops, Worldcafés und einer Podiumsdiskussion konnten wir uns an diesem Tag darüber austauschen, was es heißt, junge Menschen im Lern- und Lebensumfeld aktiv wahrzunehmen, mitzudenken und zu unterstützen.

Während sich rund 100 Fachkräfte über Macht und Machtmissbrauch im Kontext der Arbeit mit jungen Menschen, über die Reflexion ihrer pädagogischen Beziehungen aber auch über die Chancen und Herausforderungen Demokratie in der Schule erlebbar zu machen und Beteiligung in den Kontexten der Jugendarbeit zu institutionalisieren, hatten rund 140 junge Menschen ebenfalls die Möglichkeit auf dem parallel stattfindenden Fachtag “Jugendbeteiligung in junge Hände” über Herausforderungen und Chancen der Teilhabe junger Menschen, sowie über ein demokratisches Zusammenleben zu diskutieren. Ein durchdacht gestalteter Generationenaustausch brachte Jung und Alt über die Erfolgskriterien für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in den Austausch. 

Impressionen vom Fachtag Partizipation und Beteiligung 

Um all diese verschiedenen Aspekte vor dem Hintergrund der konkreten Praxiserfahrungen der Teilnehmenden und mithilfe einer breiten theoretischen Grundlagen von Jugendpartizipation und Demokratiepädagogik zu erfassen, gab es auf dem Fachtag unterschiedliche Programmpunkte, die dazu jeweils einen Beitrag leisteten. Die Vorträge und Videosequenzen gaben reichhaltige inhaltliche Impulse und das Austauschformat “Worldcafé” ermöglichte es, über die gerade gehörten Inputs und eine Reihe von Ausgangsfragen über das Gelingen von nachhaltiger und institutionell verankerter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Ein Ziel war es, über die fachliche Expertise und den Austausch in der Gruppe potenzielle Wege für eine gestärkte Kinder- und Jugendpartizipation auszuloten und gemeinsam erkannte Bedingungen für das Gelingen hierfür zu diskutieren und festzuhalten. 

Ein Blick auf die Worldcafés und die Inputvorträge kann schnell deren Bedeutung für eine demokratiepädagogische Einordnung dieser Inhalte bewusst werden lassen.

Impressionen vom Fachtag Partizipation und Beteiligung 

In diesem kleinen Beitrag sollen einige Ergebnisse aus diesen gemeinsamen Diskussionsrunden der Worldcafés vorgestellt werden. In der ersten von fünf Runden beschäftigten sich die Teilnehmenden näher mit der Frage, weshalb Beteiligung der jungen Menschen in pädagogischen Einrichtungen oft nicht als selbstverständlich erlebt werden kann. Es gerade nicht die Regel, dass Beteiligung stattfindet. Es hängt vom Zufall ab. Die aufgeführten Gründe hierfür bilden eine große Bandbreite ab. Erklärungen reichen von mangelndem Vertrauen in die eigene Kompetenz der Fachkräfte, über fehlendes Wissen und Informationen und daraus resultierenden Ängsten und Unsicherheiten, dem großen Aufwand bei begrenzten Zeitkapazitäten bis hin zur Beharrung im Status quo und strukturellen Aspekten, wie gegebene Machtverhältnisse, starke Hierarchien in einer von Erwachsenen erdachten Struktur oder auch der Ansicht unter Berufung auf schlechten Erfahrungen der Beteiligung von Kindern, es selbst schon besser zu wissen. 

Impressionen vom Fachtag Partizipation und Beteiligung 

Die zweite gemeinsam diskutierte Frage fokussiert darauf, was bei der Umsetzung von Partizipation gut funktioniert und warum dies der Fall ist. Diesbezüglich wurde in den Runden betont, dass es wichtig und eine klare Stärke sei, alle Beteiligten in den Prozess und die Planung mit einzubeziehen und das gut gelinge, wenn über den Rahmen der Partizipation Klarheit bestünde und dann auch alle Ideen ernst genommen würden. Dies fördere die Selbstständigkeit der jungen Menschen und ihre Rolle mitzugestalten. Ebenso sei der gemeinsame Austausch, die Aufklärung, Fortbildung und auch die Bereitstellung von finanziellen Ressourcen bedeutsam, weil dies Grundbedingungen für echte Partizipation darstellten.

Die Rahmenbedingungen, die zu gelingender Beteiligung von Kindern und Jugendlichen mit beitragen, wurden daran anknüpfend in der dritten Runde diskutiert. Hier lässt sich herausstellen, dass besonders die Notwendigkeit der Machtabgabe von Erwachsenen an die jungen Menschen und die anerkennende Wertschätzung in ausgearbeiteten Feedbackstrukturen als zentrale Aspekte identifiziert wurden. Daneben sei es auch wichtig, dass die Fachkräfte motiviert und die Strukturen der Partizipation stabil seien, also die Handlungsräume klar definiert und institutionalisiert sind und der Prozess in einem von Wertschätzung geprägten Miteinander stattfindet. So können Regelmäßigkeit sowie Verlässlichkeit entstehen und Scheinpartizipation vermieden werden.

Impressionen vom Fachtag Partizipation und Beteiligung 

In der vierten Austauschrunde wurde der Frage nachgegangen, wie Hindernisse und Grenzen bei der Realisierung von partizipativen Ansätzen überwunden wurden. Der Fokus der Teilnehmenden lag hierbei stark auf einer gut strukturierten Kommunikation, der Notwendigkeit des gemeinsamen Austausches und dem umsichtigen Verbreiten von zentralen Informationen. Darüber hinaus sei es wichtig, ein Bewusstsein und eine offene Haltung für den partizipativen Charakter der Konzepte zu entwickeln und mit Transparenz, Offenheit, Mut und der nötigen Ausdauer kreative Ansätze auszuprobieren, was einem insbesondere durch eine offene und gute Fehlerkultur erleichtert wird. Ebenso würde es helfen, vorab gesellschaftliche Ansprüche zu formulieren, Vernetzungsarbeit zu leisten und darüber Verbündete zu finden, die eine gemeinsame Haltung teilen. Dabei lässt sich immer auch von den Kindern und Jugendlichen und ihren Expertisen lernen, was auch eng mit der Zielgruppenorientierung und der ständigen Selbstreflexion des eigenen Handelns verbunden ist. Potentielle Hürden lassen sich auf verschiedene Weisen begegnen und mithilfe unterschiedlicher Wege überwinden.

Den Abschluss der World-Cafés bildete die Frage, wie die guten Erfahrungen mit partizipativen Verfahren weitergegeben werden können und damit die positiven Beispiele als eine Art Vorbild verbreitet werden. Um dies zu schaffen, betonen die Teilnehmenden, dass es hierfür besonders auf den Austausch ankomme. Sowohl in kollegialer Form als auch zwischen den Fachkräften und den Adressat*innen wie auch insgesamt über eine breite und funktionierende Netzwerkarbeit oder auch ganz konkreten Hospitationen, die diese Best Practices anschaulich machen und andere einladen es selbst zu verankern. Weitergedacht  seien Mentoring-Programme, verschiedene digitale Plattformen mit Beispielen wie auch die Verschriftlichung entstandener Konzepte und Verfahren sinnvoll, um sie breiter und effektiver teilen zu können. Neben diesen Möglichkeiten sind es sicherlich gerade auch Veranstaltungen wie dieses Fachtagsdoppel für Partizipation und Beteiligung, die das Thema groß machen, einen intensiven und produktiven Austausch darüber ermöglichen und Kinder- und Jugendpartizipation die angemessene und so wichtige große Bühne bieten.

Moderatorin Susanne Ulrich (DeGeDe e.V. / CAP ) und Mitorganisator Michael Siegel (DeGeDe e.V. / Beteiligungsfüchse) beim Start der Veranstaltung

In der Rückschau auf den Fachtag “Partizipation und Beteiligung” von Anfang Herbst wird auch deutlich, dass die vielen wichtigen Impulse und Denkanstöße auf die Zukunft gerichtet sind und damit auch nach der Veranstaltung mit Leben gefüllt werden müssen. So soll in diesem Artikel auch auf die sehr bereichernden Impulsvorträge von Prof. Dr. Mechthild Wolff, Moritz Schwerthelm, Prof. Dr. Markus Gloe und Prof. Dr. Annelore Prengel zurückgeblickt werden, weil sie einladen gelingende Beteiligung und Herausforderung in der Beteilgung von jungen Menschen aus den verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten.

Frau Prof. Dr. Wolff betonte in ihrem Input “Macht und Machtmissbrauch in Institutionen”, dass Macht in Institutionen zunächst einmal ein natürliches und allgegenwärtiges Phänomen sei. Junge Menschen verfügen nicht annähernd über die gleichen machtmittel wie die Erwachsenen. Sie sind verletzlich und in einer strukturell marginalisierteren Position und das aus ganz verschiedenen Gründen. Kinder und Jugendliche verfügten über weniger Orientierungswissen als Erwachsene, sie hätten im Gegensatz zu Erwachsenen nur selten die Deutungshoheit über Kontexte die sie betreffen und sie sind durch die zumeist fehlende Entscheidungsmacht viel abhängiger von Erwachsenen. Hieraus ergebe sich die Konsequenz, dass in allen helfenden und unterstützenden Beziehungen und damit besonders in der öffentlichen Bildung und Erziehung unter dem Paradigma des Vertrauens bei gleichzeitig bestehenden Abhängigkeiten die Gefahr des Machtmissbrauchs besonders groß sei. Beteiligung sei damit gerade auch deshalb so entscheidend, weil hier ein Ausgleich geschaffen werden kann um Machtunterschiede zu reflektieren und Machtmissbrauch entgegenzuwirken.

Prof. Dr. Mechthild Wolff: “Beteiligung muss auch nicht begründet werden. Beteiligung ist ein unveräußerliches Menschenrecht. Als Erwachsene müssen wir uns fragen, was muss ich dafür tun, dass sich das Kind beteiligen kann. Ich muss mir überlegen, was ist mein Job, damit das Kind von seinem Recht Gebrauch machen kann. Kinder und Jugendliche sind keine Objekte von Planungen und Entscheidungen Erwachsener, sondern sie sind Träger*innen eines subjektiven und unveräußerlichen Rechtes auf Beteiligung und Beschwerde.”

In seinem Vortrag “Partizipation in der Jugendarbeit” fokussiert Moritz Schwerthelm besonders auch auf die politische Dimension von der Ermöglichung von Partizipation.

Moritz Schwerthelm: “Kinder und Jugendlichen Demokratiebildung zu ermöglichen bedeutet eigentlich auch immer ihnen demokratische Rechte und Verfahren der Mitentscheidung zu eröffnen. Also Demokratiebildung durch Ausübung demokratischen Handelns und die Reflexion dieses Handelns.”

Soziale Teilhabe und politische Teilnahme stünden, so Schwerthelm, in einem engen wechselseitigen Zusammenhang. Dies werde zum Beispiel deutlich, wenn man sich anschaut, dass soziale Ungleichheit, also fehlende Teilhabe auch zu politischer Ungleichheit führe, also fehlender Teilnahme. Diese unterschiedlichen Chancen und Möglichkeiten an der Gesellschaft und dem Politischen teilzunehmen, die sich danach strukturierten, wo und wie man aufwächst, seien ein Anknüpfungspunkt für partizipative Verfahren, in denen junge Menschen selbst in ihrer Sprache und mit ihren Themen zu aktiv gestaltenden Subjekten werden können. Dafür bedürfe es Freiräume und keine komplett durchorganisierte Partizipation, ebenso wie Übergänge, Kooperationen und Verknüpfungen mit dem kommunalen Sozialraum der jungen Menschen, da gerade hier die relevanten Entscheidungen für ihre konkrete Lebenssituation getroffen würden.

Prof. Dr. Markus Gloe erläutert in seinem Impulsvortrag “Partizipation in der Schule”, dass sein Ideal das Ideal einer starken partizipativen Demokratie ist, die politische Mitbestimmung, Mitwirkung und Mitgestaltung möglichst vieler in vielen Bereichen in möglichst umfassenden Sinn fordert und fördert. Schaut man in Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention, lasse sich weiter präzisieren, dass erst wenn Kinder und Jugendliche an Entscheidungen mitwirken, die sie betreffen, wenn sie in wichtigen Belangen mitbestimmen und auf diese Weise aktiv ihre Lebensbereiche mitgestalten, von Partizipation im eigentlichen Sinne die Rede sein könne. Aktuelle Studien dazu, wie Schüler*innen das selbst in der Schule so erleben, zeichneten nach Prof. Dr. Gloe ein sehr ernüchterndes Bild. Dabei gebe es ja eigentlich Konzepte und Methoden wie “Lernen durch Engagement”, mit denen dies gut und konkret umgesetzt werden könnte. Es gelte Schüler*innen über einen demokratischen Unterrichtsstil, die Kommunikation auf Augenhöhe und die Entwicklung einer gemeinsam geteilten Ausgangslage zu ermächtigen und ihnen zu ermöglichen, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen und sich dann für diese einzusetzen und dafür einzutreten. 

Prof. Dr. Annedore Prengel

In ihrem Impulsvortrag “Reflexion pädagogischer Beziehungen” stellt Frau Prof. Dr. Annelore Prengel die “Leitlinien” und das “Regelbüchlein” der Reckahner Reflexionen vor (https://paedagogische-beziehungen.eu/). Sie betont die enorme Bedeutung davon, dass Kinder und Jugendliche wertschätzend angesprochen und behandelt würden. Es sei entscheidend, bei Rückmeldungen zum Lernen das Erreichte zu nennen und darauf zu fokussieren. In der Didaktik, im unmittelbaren Lernprozess müsse die Anerkennung verankert sein. Das soziale Lernen und der inhaltliche “Stoff” seien keine zwei voneinander trennbare Elemente. Vielmehr müsse das Wertschätzen beim Lernen immer die zentrale Rolle spielen, was mit der positiven Frage “Was kannst du jetzt? ausgedrückt werden kann. Neben der wertschätzenden Kommunikation gebe es weitere Regeln, die in den Reckahner Reflexionen festgehalten sind und die für ein gelingendes Miteinander in Reflexion der pädagogischen Beziehungen zentral seien. Eingerahmt werden sie von der goldenen Regel, “Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.”.

Der Doppelfachtag wurde durch einen Zusammenschluss von folgenden Förderern umgesetzt: Jugenddemokratiefond (Stark gemacht) der Stiftung Jugend und Familie des Landes Berlin, Landeszentrale für politischen Bildung (Berlin), Pestalozzi Fröbel Haus, Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin, Kreuzberger Kinderstiftung. 

Die Umsetzung erfolgte federführend durch Akteure der DeGeDe e.V und Beteiligungsfüchse gemeinnützige GmbH

Jesper Lüttgens (Beteiligungsfüchse gemeinnützige GmbH)

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