Aktuelle Debatten – gepaart mit dem Erstarken populistischer Strömungen – um die Verfassung ‚unserer‘ Demokratie, um Partizipation und die Ausgestaltung des Zusammenlebens in unserem Staat zeigen, dass der gesellschaftliche Beitrag der Demokratiepädagogik nicht zu unterschätzen ist. Eine Demokratie beruht, angelehnt an Gerhard Himmelmann, eben nicht nur auf bestimmten Staats- und Institutionsformen zusammen, sondern besteht vielmehr auch aus einer demokratischen Gesellschaftskultur. Jannika Schiffel bespricht für die DeDeDe hier das neuste Jahrbuch Demokratiepädagogik, welches den vorstehenden Anspruch mit verschiedenen Beiträgen beleuchten möchte und bereits im siebten Jahr erscheint.

Demokratie ist nicht nur Staat, sondern auch Zivilität“ (Editorial der Herausgeber*innen, S. 11), vor diesem Hintergrund widmet sich die aktuelle Ausgabe des „Jahrbuchs Demokratiepädagogik“ – herausgegeben von Hans Berkessel, Wolfgang Beutel, Susanne Frank, Markus Gloe, Tilman Grammes und Christian Welniak – dem Themenschwerpunkt „Demokratie als Gesellschaftsform“ und den damit verbundenen pädagogischen Lern- und Handlungsfeldern. Das mittlerweile siebte Jahrbuch erweitert die Reihe so um eine intensive Betrachtung von (Praxis)-Beispielen, die Demokratielernen auch in außerschulischen, gesellschaftlichen Kontexten beleuchten. Der Band gliedert sich – dem Konzept der Reihe entsprechend – in vier Teile.

Das erste Kapitel „Themenschwerpunkt: ‚Demokratie als Gesellschaftsform‘“ umfasst neun Grundlagenbeiträge: Beginnend mit dem englischsprachigen Text von Joel Westheimer, der die Anforderungen an schulisches Demokratielernen sowie die Notwendigkeit der Vermittlung kritischer Denkfähigkeit und multiperspektivischer Ansätze beleuchtet, widmet sich das Kapitel dem Verhältnis von Demokratiepädagogik und Demokratietheorie (Alexander Weiß), den Rollen und Vorstellungen von demokratischer Öffentlichkeit und den daran geknüpften „Bürgerleitbildern“(Rieke Trimcev) sowie der demokratischen Menschenrechtsbildungsarbeit zivilgesellschaftlicher Akteure (Pia Kohbrok und David Mauer). Darüber hinaus gibt das Schwerpunktkapitel Einblick in die Möglichkeiten und Einschränkungen von Demokratielernen und demokratischer Beteiligung in Gefängnissen (Stefan Weyers), den Beitrag von Religionsgemeinschaften zu demokratischer Wertebildung am Beispiel der Evangelischen Kirche (Wolfgang von Rechenberg) und in die aktuelle Bedeutung des „Beutelsbacher Konsens“ und der Debatte um dessen „Modernisierung“ (Wolfgang Beutel). Abgerundet wird das Kapitel durch die Beiträge von Sina Demirhan, die exemplarisch am Fall der Ida-Ehre-Schule in Hamburg den Versuch der AfD aufzeigt, die Auslegung des im Beutelsbacher Konsens formulierten „Überwältigungsverbots“ für sich zu missbrauchen sowie von Christin Thomas, die anhand von Interviews Umgangsformen von Lehrer*innen mit der „Fridays for Future“-Bewegung untersucht.

Darüber hinaus finden sich in Kapitel zwei, dem „Forum“, sechs Beiträge, die den thematischen Schwerpunkt um einen Einblick in Felder wie aktuelle demokratiegefährdende Strömungen oder die Einbindungsmöglichkeiten von Jugendlichen in prekären Lebenswelten erweitern: Stephan Maykus’ Beitrag liefert eine Einordnung des 15. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung und betont die Notwendigkeit der Zusammenarbeit einzelner Akteur*innen der Jugendbildung. Benno Hafeneger wiederum befasst sich eindringlich mit den Veränderungen rechtsextremer, neurechter und rechtspopulistischer Strömungen und den damit verbundenen Herausforderungen für die politische und demokratiepädagogische Bildung. Ebenso wichtige Themen sind die Projektarbeit mit „sozial benachteiligten“ Jugendlichen (Jérémie Gagné und Tina Pyka), der Ansatz des Service Learnings, also dem Lernen durch Engagement (Anna Mauz und Sandra Zentner), sowie das Konzept einer inklusiven „Leistungsschule” – exemplarisch dargestellt anhand der Wartburg-Grundschule in Münster (Gisela Gravelaar). Das „Forum“ wird abgeschlossen durch den „Thesenbeitrag“ von Wolfgang Beutel und Markus Gloe, der sich mit der Frage nach Demokratiekompetenzen und dem Zusammenspiel von Demokratiepädagogik und demokratischer Schulentwicklung befasst. Sie formulieren treffend, dass „die Anstrengungen zur Demokratisierung von Schule und Unterricht aufrechterhalten, ja intensiviert und auf Dauer gestellt werden [müssen]“ (S. 198).

Ergänzt werden diese Beiträge in Abschnitt 3 durch umfassende Praxis- und Erfahrungsberichte, die unter anderem das bundesweite Projekt „OPENION“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (Lisa Kleinevoß), das „Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz“ in Mainz (Cornelia Dold) oder das Modellprojekt „Die Verfassungsschüler“ (Magdalena Strauch) vorstellen, sowie im abschließenden vierten Kapitel „Aus der Zivilgesellschaft, Dokumente, Rezensionen“ durch umfassendes zusätzliches Material wie Berichte über das Bündnis „Demokratie gewinnt!“ (Birger Hartnuß und Hans Berkessel) und das Forum „Schule.Macht.Demokratie“ von Claudia Hagen und Wolfgang Beutel.

Aus der Fülle der lesenswerten Beiträge wird im Folgenden knapp der Artikel „Menschenrechte lernen und praktizieren, heißt Demokratie lernen. Zivilgesellschaftliche Bildungsarbeit am Beispiel der peace brigades international“ vorgestellt. Hierin diskutieren Pia Kohbrok und David Mauer die Relevanz nichtschulischer Lernangebote zivilgesellschaftlicher Organisationen. Am Beispiel der Nichtregierungsorganisation peace brigades international (pbi) verdeutlichen sie gewinnbringende Kontaktpunkte von zivilgesellschaftlichem Engagement und (außer-) schulischer Bildungsarbeit. Die pbi setzt sich für den weltweiten Schutz von Menschenrechten und deren Verteidiger_innen ein, wobei hier die Schutzbegleitung, Menschenrechtsbeobachtung, Advocacy- und Öffentlichkeitsarbeit von zentraler Bedeutung sind. Um Demokratie- und Menschenrechtskompetenzen zu stärken, möchte die Organisation in ihrer Bildungsarbeit wiederum „aus einer zivilgesellschaftlichen Praxis heraus“ (S. 65) Lernräume erweitern und die Chance bieten, den praktischen, langfristigen Nutzen sichtbar zu machen. In ihrem Beitrag unterstreichen Kohbrok und Mauer so den Mehrwert zivilgesellschaftlicher Bildungsangebote und betonen, dass diese als „fester Bestandteil im themen- und fachspezifischen Curriculum der schulischen Demokratiebildung sowie in der Aus- und Fortbildung von Lehrenden aufgenommen werden“ (S. 68) müssten.

Durch die große thematische Vielfalt der einzelnen Beiträge, denen die grundlegende Frage nach der demokratischen Ausgestaltung von Gesellschaft und den damit verknüpften Handlungsmöglichkeiten von Demokratiepädagogik gemeinsam ist, zeichnet der vorliegende Titel ein umfassendes Bild der Idee von „Demokratie als Gesellschaftsform“. Das aktuelle Jahrbuch Demokratiepädagogik ist so keineswegs nur für ‚Fachkundige‘ interessant, sondern bietet allen politisch-pädagogisch Interessierten zahlreiche Anknüpfungspunkte und – vor allem – wertvolle Denkanstöße.

Autor*in

Janika Schiffel ist zuständig für die Fachstelle Kommunikation und Pädagogik im Mainzer Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz. Das Haumöchte Erinnerungs- und Lernort zugleich sein, als zentrale Gedenkstätte der Landeshauptstadt Mainz für alle Opfer der nationalsozialistischen Diktatur.

Kontakt: janika.schiffel@haus-des-erinnerns-mainz.de

Bibliographische Daten

Berkessel, Hans/Beutel, Wolfgang/Frank, Susanne/Gloe, Markus/Grammes, Tillman/ Welniak, Christian (Hrsg.): Demokratie als Gesellschaftsform. 7. Jahrbuch Demokratiepädagogik, Wochenschau Verlag, Frankfurt a. M. 2020, 416 S.,  ISBN: 978-3-7344-0994-3 (Print) / 978-3-7344-0995-0 (PDF), Preis: 39,90 €.