Der folgende Artikel entstammt der Fachzeitschrift SEMINAR, einer vierteljährlichen Veröffentlichung des Bundesarbeitskreises der Seminar- und Fachleiter/innen (BAK-Lehrerbildung). Der zweite Band 2019 wurde dem Thema „Schlüsselkompetenzen – BNE und Demokratiebildung in der Lehrkräfteausbildung“ gewidmet. Der BAK versteht sich als Forum, Interessenvertretung und Fortbildungsorgan aller in der Zweiten Phase der Lehrerausbildung Beschäftigten. Dazu gehören Seminar- und Fachleitungen ebenso wie Lehrbeauftragte bzw. Seminarlehrer.

Demokratie lernen – Aufgabe für angehende Lehrerinnen und Lehrer

Erziehungsauftrag der Schule

Gesellschaftliche Entwicklungen im letzten Jahrzehnt wie das Anwachsen rechtspopulistischer Strömungen, die Zunahme von Hetze, Beleidigungen und fake news im öffentlichen Diskurs, religiöser Extremismus und zunehmende Gewaltbereitschaft bestimmter Gruppen bei Demonstrationen werfen die Frage auf, ob die demokratische Kultur und die Demokratie als Staatsform (nicht nur) in Deutschland in Gefahr sei. Entsprechend taucht im öffentlichen Diskurs immer öfter die Forderung auf, Schule müsse ihren Erziehungsauftrag ernst nehmen und Kindern und Jugendlichen die Chance geben, sich zu Demokratinnen und Demokraten zu entwickeln. So fragte Ralf Pauli in der ZEIT „Wie erzieht man Demokraten?“ (Pauli, 2018). Die Bertelsmann Stiftung gab eine Studie zur Demokratiebildung an Schulen in Auftrag, der Bundesverband Deutscher Stiftungen erklärt das Thema „Stiftungen und Demokratieförderung“ zum Schwerpunkt des Deutschen StiftungsTages 2019.

Studie Demokratiebildung an Schulen

Die von Schneider und Gerold im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführte Studie „Demokratiebildung an Schulen“ empfiehlt, den Stellenwert der Demokratiebildung in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften zu steigern, weil diese Variable im Kontext der Untersuchung eine relativ hohe Bedeutung für die Intensität schulischer Demokratiebildung habe und im Status quo über eine eher geringe Ausprägung verfüge (Schneider und Gerold 2018, S. 37). Ziel der Studie war es, „den Entwicklungsstand der Demokratiebildung an weiterführenden Schulen zu analysieren und zu erklären, welche Faktoren Lehrkräfte darin bestärken, Demokratiebildung Zeit und Raum innerhalb und außerhalb des Klassenraums zu geben“. (Schneider & Gerold 2018, S. 6) Die Ergebnisse der Studie bestätigten die Ausgangshypothese, dass das Kompetenzprofil und die Selbstwirksamkeitserfahrungen der Lehrkräfte über ein Mehr oder Weniger von schulischer Demokratiebildung entscheiden würden. Dreh- und Angelpunkt aus Sicht der Stiftung sind „mehr und bessere Möglichkeiten für Lehramtsstudierende, Referendarinnen und Referendare und für Lehrkräfte, sich mit dem Thema Demokratiebildung in Theorie und Praxis auseinanderzusetzen“. (Schneider & Gerold 2018, S. 7)

Bildungspolitisch hatte die KMK das Thema bereits aufgenommen, indem sie 2018 die Empfehlungen zur Demokratiebildung sowie zur Menschenrechtsbildung überarbeitet und beschlossen hat und in diesen die Entwicklung und Einübung demokratischer Schlüsselkompetenzen fordert:

„Der freiheitliche demokratische Staat lebt von Voraussetzungen, die er als Staat nicht garantieren kann. Er ist darauf angewiesen, dass Bürgerinnen und Bürger aus eigener Überzeugung freiwillig im Sinne der Demokratie handeln. Historisch-politische Urteilsfähigkeit und demokratische Haltungen und Handlungsfähigkeit als Schlüsselkompetenzen müssen entwickelt und eingeübt werden. Dies muss in vielfältiger Weise Teil des Schulalltags sein.“ (KMK 2018, S. 4)

Die besondere Bedeutung der Schule als Institution wird von der KMK ausdrücklich erwähnt, Schule sei die einzige gesellschaftliche Institution, in der es gelingen könne, alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen (KMK 2018, S.3).

 Verunsicherungen im Schulalltag

Als wesentlichen Akteuren im System Schule kommt den Lehrerinnen und Lehrern bei der Vermittlung dieser „Schlüsselkompetenzen“ eine bedeutsame Rolle zu. Was genau sind „demokratische Schlüsselkompetenzen“? Über welche Fähigkeiten müssen Lehrerinnen und Lehrer verfügen, wenn sie diese „vermitteln“ sollen? Wo und wie entwickeln sie selbst diese Kompetenzen? Welche Rahmenbedingungen braucht Schule, um dieser Aufgabe gerecht zu werden?

Tatsächlich sind viele Kollegien angesichts der vielfältigen Herausforderungen im Schulalltag verunsichert: Wie umgehen mit rechtsextremen Parolen im Unterricht, Diffamierungen und Beleidigungen Andersdenkender, diskriminierenden und rassistischen Äußerungen, islamophoben Haltungen, antisemitische Einstellungen? Nicht alle Formen demokratiefeindlicher Verhaltensweisen kommen in jeder Schule in gleicher Weise vor, aber alle Schulen müssen als Institution und alle Kolleginnen und Kollegen als professionell Handelnde einen Weg finden, Menschenrechts- und Demokratiebildung angemessen umzusetzen.

Universität, Ausbildungsseminare und Fortbildungsinstitute müssen sich der Frage stellen, wie in allen Phasen der Lehrerbildung die Entwicklung demokratischer Kompetenzen gefördert und gesichert werden kann. In den folgenden Ausführungen beziehen wir uns hauptsächlich auf die zweite Phase – das Referendariat.

 Demokratische Kompetenzen

Unabhängig von der spezifisch deutschen Konstruktion der Bildungshoheit der Länder, stellt sich grundsätzlich das Problem, was genau unter „demokratischen Kompetenzen“ zu verstehen ist und wie sie gefördert werden können. Den Begriff „demokratische Kompetenzen“ verwenden wir in Anlehnung an Edelstein als Kompetenzen, die erforderlich sind,

  • um an Demokratie als Lebensform teilzuhaben und diese in Gemeinschaft mit anderen Menschen aktiv zu gestalten;
  • um sich für eine demokratische Gesellschaftsform zu engagieren und sie durch Partizipation und Mitwirkung in lokalen und globalen Kontexten mitzugestalten;
  • um Demokratie als Regierungsform durch aufgeklärte Urteilsbildung und Entscheidungsfindung zu bewahren und weiterzuentwickeln.“ (Edelstein 2007, S. 10)

Die Förderung demokratischer Kompetenzen in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern erfordert deren genaue Beschreibung. Wir wenden uns deshalb zunächst der Frage zu, welche Bezugsrahmen zur Beschreibung demokratischer Kompetenzen bereits existieren und hilfreich sein können und in welche Richtung weitergedacht werden könnte. Als gesetzter Rahmen für Lehrerbildung in Deutschland gelten die KMK-Standards für Bildungswissenschaften, die daraufhin befragt werden, ob sie bereits gewisse Items für die Förderung demokratischer Kompetenzen enthalten. Um diese Überlegungen zu konkretisieren, folgt ein exemplarischer Blick auf ein Landescurriculum (Bildungswissenschaften für Referendarinnen und Referendare in Bremen).

Die curriculare Verankerung der zu entwickelnden Kompetenzen ist eine unabdingbare Voraussetzung für die verbindliche Umsetzung in der Ausbildung. Allerdings gewähren Rahmenpläne allein noch keine Sicherheit für die tatsächliche Realisierung von Demokratiebildung von angehenden Lehrerinnen und Lehrern. Natürlich sind im Sinne von Organisationsentwicklung weitere Schritte notwendig, wie sie auch der Europarat in seinen „Guidance for implementation“ (Council of Europe, 2018) vorstellt (Curriculum, Pädagogische Ansätze, Assessment, Lehrerausbildung, Whole-school approach). Erforderlich sind auch Strukturen, die demokratische Schulentwicklung nachhaltig unterstützen. Wir greifen in diesem Zusammenhang mit der Vorstellung von konkreten Beispielen in Bremen und Hessen nur einen Aspekt auf: die Integration von Lerngelegenheiten für demokratische Kompetenzen. Erfahrungsgemäß beeinflussen sich Entwicklungen. So haben wir in Bremen die Erfahrung gemacht, dass die langjährige Praxis interkultureller Ausbildungsanteile einer kleinen Gruppe engagierter Kolleginnen und Kollegen schließlich auf dem Hintergrund der KMK-Empfehlungen zur Interkulturellen Bildung (KMK 2013) zu einer Festschreibung im Kerncurriculum für Bildungswissenschaften geführt hat.

Bezugsrahmen OECD Schlüsselkompetenzen

1997 startete die OECD das DeSeCo-Projekt (Definition and Selection of Competencies) (OECD 2005), das einen konzeptuellen Rahmen für die Bestimmung von Schlüsselkompetenzen liefern sollte, die für ein erfolgreiches Leben und eine gut funktionierende Gesellschaft wichtig sind. Der Kompetenzrahmen orientiert sich an gemeinsamen Wertvorstellungen; so waren sich damals alle OECD-Länder über die Bedeutung demokratischer Werte und einer nachhaltigen Entwicklung einig. Der multidisziplinäre Ansatz teilt Schlüsselkompetenzen in drei Kategorien ein: „Interaktive Anwendung von Medien und Mitteln, Interagieren in heterogenen Gruppen und Autonome Handlungsfähigkeit“. Kennzeichen dieser Schlüsselkompetenzen ist, dass sie in mehreren Lebensbereichen hilfreich sind und alle Bürgerinnen und Bürger über sie verfügen sollten. Reflexives Denken und Handeln wird als grundlegender Bestandteil des Kompetenzrahmens angesehen. Die Anwendung metakognitiver Fähigkeiten, Kreativität und eine kritische Haltung werden als Voraussetzung für Reflexivität beschrieben. „Dabei geht es nicht nur um die Denkweise an sich, sondern auch um die Auseinandersetzung mit Erfahrungen einschließlich Gedanken, Gefühlen und sozialen Bindungen. Dies erfordert, dass die Individuen ein Niveau an sozialer Reife erlangen, das es ihnen ermöglicht, sich von sozialem Druck zu distanzieren, verschiedene Sichtweisen einzunehmen, eigenständige Urteile zu fällen und die Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen.“ (OECD 2005, S. 11) Besonders die zweite Kompetenzkategorie (Interagieren in heterogenen Gruppen) nennt Schlüsselkompetenzen, die für Demokratiebildung relevant sind: Die Fähigkeit gute und tragfähige Beziehungen zu anderen Menschen zu unterhalten, Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Bewältigung und Lösen von Konflikten. Als Voraussetzungen für die erstgenannte Fähigkeit wird Empathie angesehen – „sich in die Rolle des anderen und sich die Situation aus seiner/ihrer Sicht vorzustellen. Dies führt zur Selbstreflexion, bei der angesichts verschiedener Meinungen und Überzeugungen die Menschen erkennen, dass dasjenige, was für sie selbstverständlich ist, für andere nicht unbedingt selbstverständlich ist.“ (OECD 2005, S. 15) Fast vorausschauend wirkt die Nennung einer weiteren Voraussetzung, dem wirksamen Umgang mit Emotionen: „sich seiner selbst bewusst und in der Lage zu sein, seine eigene grundlegende emotionale und motivationale Verfassung und diejenige der anderen zu deuten.“ (OECD 2005, S. 15) – eine in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen oft fehlende Fähigkeit. Auch Kompetenzen der dritten Kompetenzkategorie (Eigenständiges Handeln) wie „Handeln im größeren Kontext“, „Realisieren von Lebensplänen und persönlichen Projekten“, „Verteidigung und Wahrnehmung von Rechten, Interessen, Grenzen und Erfordernissen“ sind Items, die für Demokratiebildung eine Rolle spielen.

Bezugsrahmen „Kompetenzen für eine demokratische Kultur“

Konkreter auf den Erwerb demokratischer Fähigkeiten ausgerichtet ist das Projekt des Europarates zur Entwicklung eines Referenzrahmens „Kompetenzen für eine demokratische Kultur“, dessen Ziel es ist, Kompetenzen zu benennen, „damit Bürger sich an demokratischen Kulturen beteiligen und friedlich zusammen mit anderen in kulturell vielfältigen Gesellschaften leben können“. (Europarat 2016, S.12) In vier Dimensionen (Werte, Einstellungen, Fähigkeiten, Wissen und kritisches Denken) werden 20 demokratierelevante Kompetenzitems benannt. Eine besondere Bedeutung dieses Referenzrahmens liegt in der europäischen Dimension und dem Dokument als Metaanalyse – insgesamt wurden 101 bestehende Kompetenzschemata von demokratischen und interkulturellen Kompetenzen in die Entwicklung einbezogen. Die 20 benannten Kompetenzen sind eine Verdichtung aus einer Liste von 55 möglichen Kompetenzen, die aus der Analyse gewonnen wurden. Hervorzuheben ist das dem Modell innewohnende dynamische Verständnis: „Kompetenz wird als dynamischer Prozess gesehen, bei dem ein kompetentes Individuum psychologische Ressourcen aktiv und adaptiv mobilisiert und einsetzt, um auf neue Umstände einzugehen.“ (Europarat 2016, S.6) Für einen möglichen Transfer in Curricula der Ausbildung ist interessant – und vermutlich strittig – , dass die Kategorie „Werte“ als eigene Kompetenzkategorie erscheint, in der drei Items genannt und erklärt werden: a)Wertschätzung der Menschenrechte und der Menschenwürde, b) Wertschätzung der kulturellen Vielfalt, c)Wertschätzung der Demokratie, Gerechtigkeit, Fairness, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit.

Bezugsrahmen KMK-Empfehlungen

Im deutschen Kontext stellen die erwähnten, 2018 beschlossenen KMK-Empfehlungen zur „Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule“ einen von allen Ländern getragenen Konsens dar. In diesem Dokument werden diverse demokratische Kompetenzen benannt, über die alle Schülerinnen und Schüler verfügen sollten (Respekt, Toleranz, Positionen Andersdenkender nachvollziehen, verstehen und reflektieren können). Die in dem vom Europarat entwickelten Referenzrahmen klar ausgedrückte Werteorientierung findet sich auch in den KMK-Empfehlungen: „Kinder und Jugendliche brauchen ein Wertesystem, in dem sie sich orientieren können. Schule ist dafür verantwortlich, ihnen eines zu vermitteln, das den freiheitlichen und demokratischen Grund- und Menschenrechten entspricht…Die Menschenwürde ist die wichtigste Wertentscheidung des Grundgesetzes… Das pädagogische Handeln in Schulen ist von demokratischen Werten und Haltungen getragen, die sich aus den Grundrechten des Grundgesetzes und aus den Menschenrechten ableiten lassen.“ (KMK 2018, S.3) Angesichts der immer wieder von der AfD geforderten „Neutralitätspflicht“ der Lehrenden bezieht die KMK klar Stellung, indem Schule nicht als wertneutraler Ort gesehen wird und auf den Kernbestand nicht verhandelbarer Grundrechte hingewiesen wird (KMK 2018, S. 3). Als zentrale Grundlage demokratischen Lernens diene der Beutelsbacher Konsens mit seinen drei Prinzipien: Überwältigungsverbot, Kontroversitätsgebot und der Subjektorientierung. Die von Edelstein formulierten drei Dimensionen von Demokratiebildung (Wissen über Demokratie, Kompetenzen für Demokratie, Erfahrungen durch Demokratie) spiegeln sich in vielfacher Weise in den Empfehlungen, etwa wenn die Notwendigkeit des Erlebens demokratischer Kultur und die Bedeutung demokratischer Schulentwicklung für den Erwerb demokratischer Kompetenzen betont werden. Die Empfehlungen sind kein systematisch zusammengestellter Kompetenzrahmen. Da sie jedoch diverse grundsätzliche Aussagen über Werte, Einstellungen und Fähigkeiten bezogen auf Demokratiebildung und Aufgaben von Schule und Lehrerinnen und Lehrer enthalten, sind sie ein wichtiger Bezugspunkt.

 Standards für die Lehrerbildung

Die 2014 in einer überarbeiteten Fassung vorgelegten Standards für Lehrerbildung (KMK 2014) formulieren elf Kompetenzbereiche in den Bildungswissenschaften, die für die berufliche Ausbildung und den Berufsalltag als besonders bedeutsam angesehen werden und in den Ländern implementiert werden sollen. Die Lehrerbildung soll regelmäßig auf der Grundlage der vereinbarten Standards evaluiert werden. Auf dem Hintergrund der bildungspolitischen Debatte um Bildungsgerechtigkeit und interkulturelle Bildung wird die Notwendigkeit des achtsamen, konstruktiven und professionellen Umgangs mit Vielfalt sowie die der Kooperationsbereitschaft mit anderen Professionen und Einrichtungen besonders erwähnt. Interessant ist, dass im Abschnitt „Inhaltliche Schwerpunkte der Ausbildung“ Demokratiebildung überhaupt nicht genannt wird. Eine Analyse der angestrebten Kompetenzen für die zweite Phase der Ausbildung unter dem Gesichtspunkt möglicher Fähigkeiten, die für Demokratiebildung relevant sein könnten, ergibt Anknüpfungspunkte  bei der Kompetenz 4  (Standards im Umgang mit Vielfalt: Lehrerinnen und Lehrer kennen die sozialen und kulturellen Lebensbedingungen, etwaige Benachteiligungen, Beeinträchtigungen und Barrieren von und für Schülerinnen und Schüler(n) und nehmen im Rahmen der Schule Einfluss auf deren individuelle Entwicklung“). Von der Vermittlung von Werten und Normen ist in der Kompetenz 5 die Rede („Lehrerinnen und Lehrer vermitteln Werte und Normen, eine Haltung der Wertschätzung und Anerkennung von Diversität und unterstützen selbstbestimmtes Urteilen und Handeln von Schülerinnen und Schülern“); auch hier liegt die Perspektive eher auf dem Umgang mit Vielfalt, ergänzt durch Urteils- und Handlungsfähigkeit. Eine Differenzierung der Werte oder ein Menschenrechts- und Grundrechtsbezug wird nicht explizit formuliert. Die Standards der Kompetenz 6 („Lehrerinnen und Lehrer finden Lösungsansätze für Schwierigkeiten und Konflikte in Schule und Unterricht“) sind als Konfliktlösungskompetenzen auf jeden Fall demokratischen Fähigkeiten zuzurechnen. Gleiches gilt auch für Teamfähigkeit, die ebenfalls als Standard bei der Kompetenz 9 genannt wird. Gerade die Formulierungen der Kompetenz 9 („Lehrerinnen und Lehrer sind sich der besonderen Anforderungen des Lehrerberufs bewusst. Sie verstehen ihren Beruf als ein öffentliches Amt mit besonderer Verantwortung und Verpflichtung.“) böten den Ausgangspunkt für die besondere Verpflichtung von Lehrerinnen und Lehrern, demokratiepädagogisch zu wirken. Der Hinweis auf die Wahrnehmung von Mitwirkungsmöglichkeiten (Kompetenz 10) sowie die Anforderung, schulische Projekte und Vorhaben kooperativ zu planen und umzusetzen (Kompetenz 11), eröffnet eine weitere Tür zur expliziten Formulierung demokratiepädagogischer Fähigkeiten. Insgesamt sind die Standards eher geprägt von der Herausforderung des Umgangs mit Vielfalt, lassen den Ländern aber durchaus Raum, demokratiepädagogische Konkretisierungen vorzunehmen.

Ausbildungsziele und Kompetenzanforderungen Bremen

In den Zielvorstellungen für Ausbildung auf der Homepage des Landesinstituts für Bremen werden demokratiepädagogische Zielvorstellungen nur implizit benannt, etwa wenn Referendarinnen und Referendare über die Fähigkeit verfügen sollen, „Werte und Normen zu vermitteln und selbstbestimmtes Handeln von Schülerinnen und Schülern zu unterstützen“. Weder in den „übergeordneten Prinzipien“ noch in den „Leitideen“ der Kompetenzanforderungen für die 2. Phase der Ausbildung in Bremen findet sich bezogen auf Bildungswissenschaften ein expliziter Hinweis auf Werteorientierung im Sinne von Grund- und Menschenrechtsbildung. Im Vordergrund steht eindeutig die fachliche Qualifizierung für die schulpraktische Tätigkeit. Allerdings werden unter der Überschrift „soziale und gesellschaftliche Kompetenz“ Kompetenzen benannt, die für die Demokratiebildung relevant sind, wie etwa: „die Eingebundenheit der Lehrenden und Lernenden in den gesellschaftlichen und historischen Kontext reflektieren; interkulturelle Gegebenheiten einbeziehen und Differenzen wertschätzen; Umgang mit kultureller und sozialer Heterogenität; Schülerinnen und Schüler befähigen, Konflikte konstruktiv zu lösen“.  Als Individualkompetenzen, die Referendarinnen und Referendare entwickeln sollten, werden Fähigkeit zur Empathie, Fähigkeit zum kritischen Denken und Reflexion des eigenen Verhaltens genannt.

Die Tatsache, dass Demokratiekompetenzen curricular nur ein geringer Stellenwert zugemessen werden, bedeutet nicht, dass es in der bremischen Ausbildung nicht zahlreiche Ansätze zur Demokratiebildung und Demokratieförderung gibt.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass mit den KMK-Empfehlungen 2018, der Beschreibung demokratischer Kompetenzen des Europarates sowie der OECD-Beschreibung national und international eine Reihe von Referenzrahmen zur Verfügung stehen, die auf den jeweiligen Ebenen als konsensfähig und als verbindliche Orientierung gelten. Der am weitesten entwickelte Konzeptionsrahmen sind die Beschreibungen des Europarates, zumal in drei Bänden (leider noch nicht ins Deutsche übersetzt) ausführlich auf weitere relevante Fragen wie z.B. Deskriptoren für die ausgewiesenen Kompetenzen, Stufung, Assessment, Implementierung und Methoden eingegangen wird. Was nötig ist, ist die Erweiterung der Ausbildungscurricula in den Ländern und jeweiligen Seminaren und die Verankerung von verbindlichen Lernangeboten.

Lernkonzepte für die Entwicklung demokratischer Kompetenzen

Wie schon oben ausgeführt, ist die Einbeziehung von demokratischen Kompetenzbeschreibungen in die Curricula nur ein Baustein auf dem Weg zu einer qualitativ guten und fest verankerten und praktizierten Demokratiebildung in Ausbildung und Schule. Bei vielen Schlüsselkompetenzen, die sich überfachlich, interdisziplinär und dynamisch verstehen, stellt sich die Frage nach den dafür notwendigen Lerngelegenheiten. Bei „Demokratiekompetenz“ geht es eben nicht nur um die Dimension des Wissens, für dessen Vermittlung in Ausbildung und Schule durch Didaktik eine lange Tradition und Qualität besteht. Werte- und Einstellungskategorien erfordern spezielle Lernsettings, die in Ausbildung kaum etabliert sind oder oft nur in Wahlangeboten zum Tragen kommen. Selbst tolerant zu sein, Meinungsfreiheit ernst zu nehmen und andere Meinungen gelten zu lassen, sich in andere hineinzuversetzen, diskriminierungssensibel zu sprechen und zu handeln, demokratisch zu handeln und Teilhabe zu fördern, reicht jedoch nicht aus, um gezielt Lernsituationen zu schaffen, die es Schülerinnen und Schülern ermöglichen, diese Schlüsselkompetenzen zu entwickeln oder zu erweitern. Während in der Lehrerbildung sowohl in der ersten wie in der zweiten Phase die Bedeutung der Didaktik für die Entfaltung fachlicher Kompetenzen außer Frage steht, wird institutionell wenig oder gar nicht darüber nachgedacht, wie die Entwicklung demokratischer Schlüsselkompetenzen in Ausbildung gewährleistet werden kann. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Ergebnisse von Studienbefragungen der Pädagogischen Hochschule Freiburg: Die Befragten halten die aktuelle Lehrerschaft wenig darauf vorbereitet, im Unterricht praktisch für die Demokratie zu schulen, zur politischen Bildung beizutragen sowie über soziale und politische Entwicklungen aufzuklären (vgl. Dippelhofer 2019, S. 42). „Ebenso sehen sie in der Ausbildung mehrheitlich großen Nachholbedarf für praktische Demokratieübungen sowie eine nachhaltige Demokratieerziehung zur Verinnerlichung und Anwendung entsprechender Werte.“ (ebd. 2019, S. 42)

Demokratiepädagogik

Mit dem Konzept der Demokratiepädagogik hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten ein Ansatz entwickelt, der für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern nicht nur hilfreich ist, sondern auch verpflichtend werden sollte. Demokratie leben und lernen wird als Einheit verstanden, womit der Blick über die Entwicklung von Demokratiekompetenzen hinausgeht und sich auch auf die Gestaltung des Kontextes – demokratische Schulentwicklung – richtet. „In demokratischen Verhältnissen aufzuwachsen und respektvollen Umgang als selbstverständlich zu erfahren, bildet die vielleicht wichtigste Grundlage für die Herausbildung belastbarer demokratischer Einstellungen und Verhaltensgewohnheiten.“ (DeGeDe 2005) Demokratische Handlungskompetenz bedeutet sowohl Handlungskompetenz für eine demokratische Gesellschaft als auch Handlungskompetenz in der demokratischen Gesellschaft. Demokratiepädagogik bezieht sich nicht auf ein inhaltliches Schulfach, sondern „bezeichnet eine pädagogische Aufgabe und einen normativen Anspruch für Erziehung und Schule insgesamt.“ (Fauser, S.19)

Unter dem Konzept der Demokratiepädagogik hat sich inzwischen ein „Repertoire von Lerngelegenheiten und Kontexten entwickelt, die zum Erwerb demokratischer Kompetenzen und zur Entwicklung demokratischer Schulqualität beitragen.“ (Edelstein, S. 10)

Qualifizierung aller Referendarinnen und Referendare

Demokratiepädagogische Qualifizierungen sollten sich ausdrücklich an alle Referendarinnen und Referendare richten. Sicherlich ist die Integration von demokratiepädagogischen Modulen in die Didaktik der Sozialwissenschaft und die Politikdidaktik und damit die fachdidaktische Qualifizierung der entsprechenden Referendarinnen und Referendaren eine wichtige Voraussetzung für eine demokratische Schulentwicklung. Demokratieerziehung kann jedoch nicht einem kleinen Teil der Lehrerschaft überlassen werden. Demokratische Einstellungen, Haltungen, Prozesse spiegeln sich in jedem Unterricht, wie auch demokratierelevante Themen (Entscheidungsfindungsprozesse, Feedbackverfahren, kooperative Lernformen und Teamarbeit, wertschätzende Kommunikation, Respekt und Anerkennung der Menschenwürde, Menschenrechte, Multiperspektivität, Perspektivenwechsel etc.) in jedem Unterricht mitschwingen. Werte vermitteln sich durch die Art wie Lehrerinnen und Lehrer kommunizieren und handeln.  Dieser Sichtweise folgt z.B. auch das Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Münster (ZfsL): „Wir sehen Demokratielernen als eine Querschnittsaufgabe der Schule, die von allen Beteiligten gemeinsam angenommen werden muss und wollen junge Lehrer*innen durch unterschiedliche Lernangebote auch auf diese Herausforderung vorbereiten.“ (Kroes & Ridder & Speckenwirth 2019, S. 104) Als konkrete Beispiele nennen die Verfasser z.B. die Mitwirkungsgremien, die Ausgestaltung der Seminarveranstaltungen mit kooperativen Lernformen, Exkursionen zu ausgewählten Lernorten, transparente Leistungsrückmeldungen, Projektarbeit (Kroes & Ridder & Speckenwirth 2019, S.105). Umgesetzt wird das beispielsweise durch eine einwöchige Studienreise aller Lehramtsreferendarinnen und -referendare (LAR) nach Berlin, bei dem es auch um historisch-politische Bildung geht oder durch das Projekt „Herausforderungen“. Bei Letzterem suchen sich drei bis fünf LAR gemeinsam ein Projekt (beispielsweise Integration von Flüchtlingskindern in Hauswirtschaftsunterricht), das sie dokumentieren und welches von Ausbilder*innen und anderen LAR gemeinsam bewertet wird.  Des Weiteren kann ein demokratiepädagogisches Kernseminarmodul „Demokratisch Handeln – Demokratie lernen als Bestandteil schulischen Lernens“ von allen Lehrämtern in der Kern- und Fachseminararbeit genutzt werden (zum Ablauf des Moduls vgl.  Kroes & Ridder & Speckenwirth 2019, S. 109 -110).

Demokratielernen

Wenn auch in den länderspezifischen Ausbildungscurricula die explizite demokratiepädagogische Verortung fehlt, so bieten sich oft trotzdem diverse Lernsettings für Demokratielernen. Wie bereits ausgeführt, bildet der bildungswissenschaftliche Rahmen durchaus Anknüpfungspunkte für Demokratielernen. In Modulangebote – ob als durchgängige Organisationsstruktur der Ausbildung oder als verpflichtende Wahlmodule – haben demokratiepädagogische Ansätze vielfach Eingang gefunden. Problematisch ist in diesem Fall einerseits die Abhängigkeit dieser Angebote von Personen, die sie durchführen und andererseits die Tatsache, dass damit nicht alle Referendarinnen und Referendare erreicht werden.

Demokratie-Module, wie in Bremen, beziehen sich z.B. auf Möglichkeiten demokratischen Handelns in der Schule und knüpfen am Projekt „Demokratisch Handeln“ an.

Ausbildungsangebote wie „Juniorwahl“ ermöglichen die Verbindung von Themen, die sich auf die Ebene der „Demokratie als Herrschaftsform“ beziehen mit der Entwicklung von Handlungskompetenzen auf der Ebene der „Demokratie als Gesellschafts- und Lebensform“, wenn Referendarinnen und Referendare die Verantwortung für die Durchführung der Juniorwahl an ihrer Schule übernehmen. In Ausbildungskursen für „Jugend debattiert“ ergeben sich Lerngelegenheiten für demokratisches Sprechen und die Möglichkeit für Lehrende, die Debatte als Unterrichtsmethode kennenzulernen, die fächerübergreifend einsetzbar ist. Im Wahlpflichtkurs „Demokratie leben und lernen“ hatten die Referendarinnen und Referendare Gelegenheit, sich mit diversen Partizipationsformen vom Klassenrat bis zum Schülerparlament, mit Schülerprojekten zur Gestaltung des Schullebens und dem Ansatz der „Just Community“ zu beschäftigen und waren aufgefordert, eigene Projekte durchzuführen und zu reflektieren. Die Fähigkeit, zuzuhören und die eigene Wahrnehmung zu erweitern, Empathie zu entwickeln, sich in andere Perspektiven hineinzuversetzen, aber auch kontroverse Themen zu erkennen und ihnen nachzugehen, eine konstruktive Streitkultur zu entwickeln und Formen demokratischen Sprechens zu erproben, hatten angehende Lehrerinnen und Lehrer z.B. in einem Kurs zur „Willkommenskultur“. Die Frage, wie angesichts populistischer und postfaktischer Diskurse, religiös legitimierter Gewalt und antidemokratischer Einstellungen, denen wir in Schule begegnen, demokratische Werte „vermittelt“ werden können und Demokratie in der Schule gelebt werden kann, stand im Mittelpunkt eines Wahlpflichtkurses „Streitbare Demokratie“. Demokratiekompetenzen, die dabei gefördert wurden, waren z.B. die Reflexion eigener Positionen und Haltungen in aktuellen Konflikten, in denen es um demokratische Grundwerte geht, die Stärkung eigener demokratiepädagogischer Kompetenzen für Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie die Kenntnis von demokratiepädagogischen Ansätzen und Methoden und die Handlungskompetenz im Umgang mit ihnen.

Generell eignet sich ein Modul wie das letztgenannte vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen als Basismodul. Leider ist es inzwischen möglich, dass Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter in den Studienseminaren auftauchen, die weder in ihrer schulischen Sozialisation noch in der universitären Ausbildung, eine Grundqualifikation in politischer Bildung erworben haben. Orientierung und Sicherheit im Umgang mit Grund- und Menschenrechten muss aber von jeder Lehrerin und jedem Lehrer erwartet werden. In dem genannten Modul ging es nicht nur um die Kenntnis der Grundrechte, vielmehr wurde das in den Grundrechten angelegte Spannungsverhältnis zum Beispiel zwischen z.B. Freiheits- und Gleichheitsrechten erörtert. Gerade in Auseinandersetzungen um die Gestaltung von Schule im Verhältnis von Demokratie – Kultur – Religion müssen Lehrerinnen und Lehrer die Gratwanderung zwischen Grenzziehung machen, wenn es um Beachtung der Grund- und Menschenrechte geht und andererseits Offenheit zeigen, wenn es z.B. um Gestaltungsfragen der Schule in der Migrationsgesellschaft geht. Ohne an dieser Stelle auf die vermeintliche Kontroverse zwischen Politischer Bildung und Demokratiepädagogik einzugehen, brauchen alle Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Funktion als Vertreterinnen und Vertreter eines demokratischen Staates grundlegende Kenntnisse in Politischer Bildung und Demokratiepädagogik.

Die Auseinandersetzung mit Werten, Einstellungen und Haltungen bräuchte spezielle Formate, in denen biografische Ansätze und Selbstreflexion aufgehoben sind. Eine wirkliche Beschäftigung mit der eigenen Identität ist im üblichen Seminarkontext schwer denkbar. In der außerschulischen Bildung haben sich inzwischen unter dem Begriff „Training“ oder „Programm“ Konzepte und Lernformate etaliert, die für jeweilige Demokratiefelder den Rahmen für Sensibilisierung, Selbstreflexion, kritischen Diskurs und Handlungsfähigkeit ermöglichen.

Ein wichtiges Anliegen in Bremen in der zweiten Phase der Lehrerbildung und der Lehrerfortbildung am Landesinstitut Bremen besteht darin, Raum für Selbstreflexion und Training von Handlungskompetenz zu schaffen. „A World of Difference – Eine Welt der Vielfalt“ (für dieses und die folgenden Trainingsprogramme vgl. die Homepage der Akademie für Führung und Kompetenz am Centrum für angewandte Politikforschung) war das erste Trainingsprogramm, das in das Aus- und Fortbildungsangebot des Landesinstituts Bremen aufgenommen wurde. Ihm folgten weitere wie zum Beispiel „Betzavta“ und „Power of Language (sprache-macht-demokratie)“. (Ulrich & Wenzel, 2006) Diese neuen Bildungsformate, in denen sich interdisziplinäre Ansätze spiegeln, haben sich auch in anderen Bundesländern etabliert. Die besondere Chance dieser Programme liegt in dem speziellen Lernarrangement, das auf der Grundlage klar skizzierter Settings erfahrungsbezogene Kommunikation fördert, in die biografische Elemente einfließen. Die Anlage der Aktivitäten führt immer zur Multiperspektivität und Wahrnehmung der besonderen Heterogenität der jeweiligen Gruppe. Dieser – immer wieder neue und nicht vorhersehbare – Prozess fördert die Reflexion von gesellschaftlich konstruierten Differenzlinien und ist geeignet, stereotypisierende Zuschreibungen und eigene Vorurteile erkennen zu lassen. In “Betzavta“ werden Fragen von demokratischer Entscheidungsfindung und Dilemma-Situationen thematisiert, was zur Wahrnehmung gesellschaftlicher Machtasymmetrien führt. Das Programm „sprache macht demokratie“ eignet sich hervorragend, gesellschaftliche Mehrsprachigkeit und Diskriminierung durch Sprache zu betrachten. „Mehr als eine Demokratie“ vertieft den Betzavta-Ansatz bezogen auf Grundfragen der Demokratie und beschäftigt sich mit verschiedenen Demokratie-Modellen.

Hessen

Ein Problem – nicht nur in Hessen – besteht darin, dass es aktuell bis auf die Bundesländer Berlin und Sachsen keine verpflichtenden Veranstaltungen zum Demokratielernen für alle Referendarinnen und Referendare gibt. An den Universitäten ist die Situation seit Einführung von Bachelor und Master noch prekärer (vgl. Lange 2019, 29 f.). Veranstaltungen für alle Fachrichtungen im Lehramtsstudium zur Demokratiebildung sind rar gesät, geschweige denn, dass es ein Bewusstsein bei den in der Universität Verantwortlichen dafür gibt, ein flächendeckendes und verpflichtendes Angebot zu etablieren. Ein positives Signal für Schulen geht immerhin von der rheinland-pfälzischen Kultusministerin Frau Hubig aus, die ab dem

nächsten Schuljahr 2019/20 für alle Schülerinnen und Schüler der Oberstufe, d.h. für alle drei Jahre, verpflichtend politische Bildung einführt. Das Fach kann also nicht mehr abgewählt werden.

Wie in allen Bundesländern lässt sich Demokratielernen in Hessen aus dem Hessischen Schulgesetz (s. § 2 (2) „Grundrechte für sich und andere wirksam werden lassen“) sowie aus dem Hessischen Referenzrahmen Schulqualität (HRS) (Kinderrechte, Klassenrat, Teil- oder Vollversammlungen – S. 65 + 68) ableiten. In der zweiten Phase der Lehrkräfteausbildung gibt es einige positive Beispiele, die in den 30 hessischen Studienseminaren – in Hessen gibt es 5 Studienseminare für Berufliche Schulen, 10 für Gymnasien und 15 für Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen (GHRF) – aber nur vereinzelt und nicht systematisch umgesetzt werden. So gibt es in allen Seminaren das Modul „Erziehen, Beraten, Betreuen – EBB“. In einzelnen Seminaren (z.B. im Studienseminar GHRF Offenbach) wird hier grundsätzlich der Klassenrat behandelt und zwar nicht nur theoretisch, sondern durch die Hospitation in einem Klassenrat mit anschließender Auswertung. Auch wird in diesen Seminaren in diesem Zusammenhang das Thema Kinderrechte grundsätzlich behandelt, so dass alle Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (LiV) etwas über die Bedeutung und die Umsetzung der Kinderrechte erfahren. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass das Wissen und die Praxis der Kinderrechte eine deutlich höhere Verbreitung in hessischen Schulen gefunden haben, wobei das nur zum geringen Teil auf die Ausbildung zurückzuführen ist.

Ein weiteres Modul in Hessen ist das Wahlpflichtmodul „Mitgestaltung der Selbstständigkeit von Schulen“ (SMS). Im Studienseminar GHRF Offenbach ist in diesem Zusammenhang eines der Wahlangebote „Demokratielernen/soziales Lernen“. Das Angebot ist sehr teilnehmerorientiert und wird je nach Interessenlage der LiV gestaltet. Ein Thema ist in der Regel „Partizipation“, bei dem die LIV überprüfen, wie dies in ihrer Schule umgesetzt wird und welche Chancen es gibt, Partizipationsmöglichkeiten zu erweitern. Im Rahmen von SMS hat jede LIV die Aufgabe ein Projekt umzusetzen. Einige dieser Projekte sind demokratiepädagogisch ausgerichtet. Im Rahmen von SMS gibt es gelegentlich auch eine Zusammenarbeit mit dem außerschulischen Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC). Dieses Netzwerk bietet in Schulen zu verschiedenen demokratiepädagogischen Themen Workshops an.

Nach wie vor gilt auch für Hessen, dass es das Ziel sein muss, dass Demokratiepädagogik zu einem festen Bestandteil in der zweiten Phase der Lehrkräfteausbildung wird.

Weitere Beispiele, wie Demokratielernen in der zweiten Phase der Lehrerbildung umgesetzt werden kann, finden sich im 6. Jahrbuch für Demokratiepädagogik, das sich mit dem Titel „Demokratische Schule als Beruf“ ausführlich der Lehrkräftebildung widmet und Beispiel aus weiteren Bundesländern aufnimmt und den Blick über nationale Grenzen wirft (Gloe & Rademacher, 2019).

Fazit

Sowohl bei den Kompetenzbeschreibungen für Demokratielernen als auch in der konkreten Praxis der Lehrerbildung gibt es wertvolle Ansätze, die es weiterzuentwickeln gilt. Für die zweite Phase ist eine der wesentlichen Herausforderungen, auf dem Hintergrund der existierenden Referenzrahmen, ein konsistentes Modell für Demokratielernen in den jeweiligen Ländern/Seminaren zu entwickeln und umzusetzen. Eine bedeutsame Frage ist dabei auch die demokratiepädagogische Qualifizierung der Ausbilderinnen und Ausbilder.

Literatur

Kontakt Autor*innen

Regina Piontek, Vorstandsmitglied DeGeDe
Mail: regina.piontek@degede.de 

Helmolt Rademacher, Vorstandsmitglied Landesverband Hessen
Mail: helmolt.rademacher@degede.de